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“Wir sind auf die Ausländer angewiesen”

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf plädiert für die Integration von ausländischen Arbeitskräften. Keystone

Bei der Eröffnung der Internationalen Konferenz zum Thema "Diversity und Integration" am Donnerstag in Luzern erklärte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf die Integration als Chance für die Wirtschaft.

Im Interview mit swissinfo nimmt sie auch zur Asylpolitik Stellung.

swissinfo: Wie Sie am Donnerstag in Ihrem Referat an der LIPS-Konferenz in Luzern erwähnt haben, tragen die ausländischen Arbeitskräfte bedeutend zum Wohlstand in unserem Land bei. Integration aus Eigeninteresse?

Eveline Widmer-Schlumpf: Ein Fünftel der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz sind Ausländerinnen und Ausländer. Es ist im Interesse der Wirtschaft – auch in Anbetracht der demographischen Entwicklung -, dass wir über diese Arbeitskräfte verfügen.

Es geht aber auch darum, die Diversität in unserem Land zu nutzen. Wir sollten erkennen, dass Menschen mit einem unterschiedlichen Lebenshintergrund sehr viel zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen können.

swissinfo: Der Bundesrat setzt bei der Integrationspolitik vor allem auf das Erlernen einer Landessprache. Genügt das?

E.W.: Sprache ist nicht das Mittel zur Integration, aber es ist der Schlüssel dazu. Wenn man sich verständigen kann, wenn man verstanden wird, dann hat man auch die Möglichkeit, sich in der Gesellschaft – sei es am Arbeitsplatz oder in einem Sportverein – zurechtzufinden. Ob wir wollen oder nicht – die Sprache ist dazu nötig.

swissinfo: Was ist mit den ausländischen Managern in Wirtschaftskreisen, die oft nur Englisch sprechen?

E.W.: Auch das ist eine Frage der Integration. Eine Bevölkerungsgruppe, die sich mit den Menschen in ihrer Umgebung nicht verständigen kann, grenzt sich selbst aus.

Landläufig spricht man vor allem im Zusammenhang mit niedrig qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Drittstaaten oder aus dem Balkan von Integration, aber letztendlich geht es um Integration aller ausländischer Bevölkerungsgruppen in der Schweiz.

swissinfo: Wann gilt für Sie eine Person als integriert?

E.W.: Wenn sie sich mit den kulturellen und ideellen Begebenheiten auseinandersetzt und auch das Leben an dem Ort kennt, wo sie wohnt. Wenn sie die Wertvorstellungen kennt und akzeptiert und sich verständigen kann. Das heisst, wenn die Person als Teil einer Gemeinschaft betrachtet werden kann.

swissinfo: Sie verfolgen wie Ihr Vorgänger Christoph Blocher eine harte Asylpolitik. Bei den ausländischen Arbeitskräften, die namentlich aus der EU kommen, haben Sie dagegen eine äusserst liberale Haltung. Besteht nicht die Gefahr einer Zweiklassen-Migrationspolitik?

E.W.: Wir haben nicht eine harte, sondern eine konsequente Asylpolitik. Wir halten uns an die gesetzlichen Bestimmungen.

Die Schweiz ist ein Land mit einer humanitären Tradition, auch daran halten wir uns. Angesichts der hohen Anerkennungsquote von Asylbewerbern in der Schweiz kann man nicht sagen, dass die Schweiz durch übertriebene Härte auffällt. Mit über 25 Prozent ist die Schweiz eines der Länder mit der höchsten Annerkennungsquote.

Ich bin überzeugt, dass wir uns absolut entsprechend unserer humanitären Tradition verhalten. Wir wollen jedoch jegliche Form von Missbrauch mit Härte bekämpfen, weil das letztlich auch jenen Personen schadet, die zu Recht Asyl beantragen.

Was die ausländischen Arbeitskräfte betrifft, sind wir auf sie angewiesen. In der Schweiz wird rund ein Viertel der Arbeitsstunden von ausländischen Arbeitskräften geleistet.

swissinfo: Gemäss NZZ am Sonntag haben Sie im Entwurf zur Änderung des Asyl- und des Ausländerrechts weitere Verschärfungen vorgeschlagen.

E.W.: Es geht nicht darum, im Asylbereich Massnahmen zu verschärfen, sondern darum, die bestehenden Massnahmen nach dem Asyl- und Ausländergesetz zu konkretisieren und umzusetzen. Zum Teil sind die gesetzlichen Bestimmungen zu wenig konkret.

swissinfo: Die Zahl der Asylgesuche hat namentlich auf Grund der kritischen Lage in Eritrea, Sri Lanka, Nigeria und Somalia 2008 stark zugenommen. Sollen eritreische Deserteure und Militärdienstverweigerer immer noch zurückgeschickt werden?

E.W.: Die Lage in Eritrea ist nach wie vor sehr angespannt. Es wird jedes Asylgesuch einzeln und genau geprüft. Wenn jemand Asylgründe geltend machen kann, wird die betroffene Person als Flüchtling anerkannt. Gibt es keine Asylgründe, wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob eine Rückkehr zumutbar, zulässig und möglich ist. Das gilt für alle Herkunftsstaaten.

Deshalb kann man nicht sagen, dass wir grundsätzlich alle Personen aus einem bestimmten Land zurückschicken beziehungsweise bei uns aufnehmen. Es wird jeder einzelne Fall geprüft. Wenn eine Person mit einem negativen Asylentscheid nicht in seine Heimat zurückkehren kann, weil dort zum Beispiel Krieg herrscht, wird sie vorläufig aufgenommen.

swissinfo-Interview: Corinne Buchser

Auf die Kritik am langen Schweigen des Bundesrates antwortete Widmer-Schlumpf gegenüber swissinfo: “Wir beschwichtigen nicht. Es ist eine Tatsache, dass wir eine starke Wirtschaft haben, die sehr gut diversifiziert ist. Gerade im Bankenbereich haben wir eine vielfältigere Struktur als andere Staaten.”

Natürlich sei die Schweiz auch mit Problemen konfrontiert, doch der Bundesrat habe Massnahmen vorbereitet, um diesen zu begegnen. Diese Massnahmen würden dann kommuniziert, wenn der Bundesrat diese entschieden habe.

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf spricht sich für einen besseren Schutz der Sparguthaben aus. Dafür werde sie sich im Bundesrat einsetzen, sagte die stellvertretende Finanzministerin in einem am Freitag erschienenen Interview mit dem Tages-Anzeiger.

Noch offen sei, welche Guthaben gesichert werden sollen und bis zu welchem Betrag. Dies müsse die politische Diskussion in den nächsten Wochen ergeben.

Die 3. Internationale Konferenz in Luzern, die vom 8. bis am 9. Oktober stattfindet, beschäftigt sich mit dem Thema “Diversity und Integration in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft”.

An der Konferenz geht es namentlich um “Diversity Management” als Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil. Es handelt sich dabei um eine Unternehmenskultur, die auf kulturelle Vielfalt setzt.

Organisiert wird die Konferenz von der Luzerner “Initiative für Frieden und Sicherheit” (LIPS).

Von Januar bis September 2008 wurden 10’351 Asylgesuche gestellt, das sind 2351 mehr als in der Vorjahresperiode. Davon wurden 1705 Gesuche angenommen.

Ursache für den Anstieg ist namentlich die kritische Lage in Ländern wie Eritrea, Somalia, Nigeria und Sri Lanka.

Die Anerkennungsquote nahm von 18,4% auf 25,2% zu.

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